Harry Jandorf

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Erinnerungen an meinen Vater Adolf Jandorf

Erinnerungen an meinen Vater Adolf Jandorf


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HARRY JANDORF 
608 NORTH MAPLE DRIVE 
CRESTVIEW 6-0306 


BEVERLY HILLS, CALIFORNIA

24. April, 1967

Adolf Jandorf, geboren 7. Februar, 1870, verstorben 12. Januar, 1932.

Der Lebenslauf meines Vaters war teils Glueck, teils Zufall, teils enormer
Fleiss. In geschaeftlicher Beziehung war mein Vater bestimmt ein Genie.
Er wurde in einem ganz kleinen Ort, in Henrstfeld, Wuertemberg geboren, Wo
auch seine Brueder Louis Jandorf, Karl Jandorf, Robert Jandorf, Moritz Jan-
dorf und Dr. Julius Jandorf, sowie eine Schwester, Flora, geboren wurden .
Da Hengstfeld keinen juedischen Friedhof hatte, wurde die Mutter meines Vaters
in Schopfloch beerdigt, WO ein sanz kleiner Friecdhof war. Ich habe das Grab
einmal mit meinem Vater besucht. Ob dieser Friedhof heute noch existiert,
weiss ich natuerlich nicht.

Mein Vater ging nur bis zum 14. Jahre in die Volksschule; er hatte eine wunder -
bare Handschrift und hat sein Testament handschriftlich geschrieben. Schon mit
15 Jahren wurde er Verkaeufer in einem ganz kleinen Geschaeft in Wuertemberg.
Er war von Gestalt so klein, dass er kaum ueber den Ladentisch sehen Konnte.

Der geschaeftliche Werdegang meines Jaters hing mit der Gruendung der Firma M.I.
Emden Soehne in Hamburg zusammen, die mehrere kleine Warenhaeuser in Deutschland
hatten. Herman Emden war der Gruender dieser Firma, den ich persoenlich nicht
mehr kannte. Nach dessen Tod uebernahm Jakob Emden die Firma und dieser hatte
die Absicht, in Berlin ein kleines Geschaeft aufzumachen. Er rief seinen Pro-
kuristen, einen Nerrn Fraustaetter, in sein Buero und fragte ihn, Ob er nicht
einen junzen Mann wuesste, der fuer das zu eroeffnende Geschaeft in Berlin in
Frage kaeme. Mein Vater war inzwischen in ein dem Emden Konzern gehoeriges Ge-
schaeft nach Bremerhafen gekommen, wo er als Verkaeufer taetig war; Herr Frau-
staetter hatte ein Auge auf ihn geworfen und er empfahl Jakob Enden meinem Vater
die Fuehrung des geplanten Geschaefts in Berlin zu uebertragen. Herr Fraustaetter
telegraphierte daraufhin sofort meinem Vater, er moege unverzueglich nach Hamburg
kommen, was dieser auch am gleichen Tage tat und Herr Fraustaetter holte ihn am
Abend vom Bahnhof ab. Mein Vater, der natuerlich keine Ahnung hatte, worum es
sich handelte, war hoechst ueberrascht, als ihm Herr Fraustaetter mitteilte, dass
er auserwaehlt worden war, die Fuehrung des Berliner Geschaeftes zu uebernehmen.
Er sass die ganze Nacht im Alster Cafe, ohne ueberhaupt schlafen zu gehen. Am
nsechsten Morgen liess er sich in einem Hotel rasieren und war dann puenktlich,
wie bestellt, um 9 Uhr frueh im Buero von Jakob Emden.

Jakob Emden fragte meinen Vater, ob er denn Berlin kenne, worauf mein Vater er-
widerte: "Berlin, wie meine Westentasche." Dabei war mein Vater natuerlich
nie vorher in Berlin gewesen. Jakob Emden liess ihm Mark 500.- Vorschuss ge-
ben, um sich nach einem heeigneten Lokal umzusehen. Nach 6 Wochen kam mein
Vater nach Hamburg zurueck und berichtete Jakob Emden, dass er einen geeigneten
Platz gefunden haette. Er war 22 Jahre alt, als er dann ein kleines Geschaeft
in Berlin, im Parterre, eroeffnete, wo er hauptsaechlich Kurzwaren und Posamen-
tierwaren fuehrte. Leider brach kurz nach dieser Eroeffnung des Geschaeftes die
Cholera aus und kein Mensch wollte aus Gruenden der Ansteckungsgefahr in dem
Geschaeft kaufen. Mein Vater hatte dann die glueckliche Idee, ein reizendes
Kissen zu entwerfen, welches er mit dem folgenden Text versah "Nur ein Viertel

*in Hamburg

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Stuendchen". Von diesem Artikel verkaufte er nicht weniger als eine Million Kissen.

Bevor mein Vater das Geschaeft eroeffnete, War die grosse Frage, wie man das Ge-
schaeft wohl nennen koennte. Er liess 5nnerhalb der 6 Wochen, in denen er sich

um den geeigneten Platz umsah, saemtliche Geschaeftsdrucksachen drucken mit der
Ueberschrift "A. Jandorf & Co., Hamburger Engros Lager und als Jakob Emden die
gedruckten Geschaeftspapiere sah, protestierte er heftig gegen den Namen der Firma.
Daraufhin sagte mein Vater, - wenn Sie es nicht so machen wie ich will, dann suchen
Sie sich jemand anders. Letuten Endes willigte Jakor Emden ein und das Geschaeft
wurde schliesslich eroeffnet. Es ging nach der ueberstandenen Choleragefahr her-
vorragend und mein Vater kaufte daraufhin nach kurzer Zeit das ganze Haus. Damals
lag dieses Geschaeft in einer glaenzenden Gegend und es wurden sogar Lebensmittel
gefuehrte

Kurze Zeit darauf kaufte mein Vater ein Grundstueck, = auch ganz gegen den Willen
von Jakob Emden -, in der Bellalliance Strasse, (jetzt Mehringdam genannt). Auch
dieses Geschaeft war ein Riesenerfolg und wurde mit einem Militaerkonzert eroeff-
net. Zu dieser Zeit kam zum ersten Mal der Sohn von Jakob Emden zur Eroeffnung.
Er hiess Dr. Max Emden. Max Emden war begeistert von dem Riesenerfolg und Jakob
Emden war meinem Vater sehr dankbar, da Max Emden, der getauft war, ganz gegen jue=-
Aische Warenhaeuser war.

Das naechste Geschaeft wurde von meinem Vater in der grossen Frankfurter Strasse er-
oeffnet, dann kamen weitere Eroeffnungen, eines in der Brunnenstrasse und das andere
am Kotbuser Damm. Dieses letztgenannte Geschaeft wurde fast gleichzeitig im Jahre
1907 mit dem haufhaus jes Westens eroeffnet. Das erste Jahr im KDW war sehr schwie-
rig und Emden Soehne erhielten die Hilfe von einem Verwandten in Paris. Gleich
darauf aber war der Anstieg des Warenhauses ueberraschend gross, da es im Westen
Berlins kein anderes Warenhaus gab. Das KDW lag in der Tauentzienstrasse und war
mit allen Chikanen eingerichtet. Wir hatten als erstes die Deutsche Bank als Unter-
mieter. Ausserdem hatten wir einen hervorragend gehenden Ciggarrenladen, den schoen-
sten Herrenfrisiersalon in Berlin, ein Reisebuero und einen Theaterbillettverkauf,
sowie eine Leihbibliothek, wo ganz Berlin hinging. Selbstverstaendlich hatten wir
auch einen Erfrischungsraum und einen wunderbaren Teesalon. In diesem Warenhaus
fuehrte man natuerlich ganz andere Ware als in den anderen Jandorf‘schen Geschaeften,
es wurde dort die eleganteste Ware in ganz Deutschland verkauft. Das Warenhaus be-
sass einen franzoesischen Maass-Salon fuer Damen und einen englischen Maass-Salon
fuer Kostueme. Die Einrichtung wurde von der Fa. Ballin in Muenchen ausgefuehrt.

Um alles auf das Modernste einzurichten, sandte mein Vater seinen Bruder Moritz Jan-
aorf nach London um sich dort die fuehrenden Warenhaeuser anzusehen. Waehrend des
Baues des KDW liess mein Vater ein Luftdruckkassensystem einbauen, das aus England
kam, (Lempson Kasse). Leider bewaehrte sich dieses System nicht und wir hatten
damit grosse Schwierigkeiten, durch Reparaturen, etc., da immer Arbeiter aus London
herbeigeholt werden mussten, um diese Reparaturen durchzufuehren. Nach ein paar
Jahren gaben wir dieses System auf und fuehrten regulaere Kassen ein, da keine Kassiere-
rin darauf eingearbeitet war.
Ich kann mich noch genau auf die Zroeffnung des KDW besinnen. Ich war damals 14
Jahre alt und hatte natuerlich schulfrei. Ich sehe meinen Vater noch wie heute vor mir,
wie er, in einem mit Glass ueberdeckten Raum sitzend, das ganze Warenhaus leitete und
zusah, dass auch alles richtig klappte.

 
In der Zwischenzeit verkaufte mein Vater das Geschaeft am Spittelmarkt, da die Lage
nicht mehr gut war und wir dort grosse Konkurrenz von anderen Warenhaeusern hatten.

Er kaufte dann waehrend des Krieges ein anderes Geschaeft in der Wilmersdorfer Strasse;
es wurde, neben dem KDW, unser bestgehendes Geschaeft.

Am Anfang hatte ich erwaehnt, dass mein Vater mehrere Brueder hatte. Der eine von
ihnen, Louis Jandorf, ging ın jungen Jahren nach New York und liess nie mehr etwas

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von sich hoeren. Seine Eltern waren ueberaus besorgt um ihn und so setzte sich
eines Tages mein Vater auf und fuhr, ohne ein Wort englisch zu sprechen, mit
einem kleinen Dampfer "Die Eidam" nach New York, um seinen verschollenen Bruder
aufzufinden. Es gelang ihm auch, diesen nach 8 Tagen aufzufinden, es war ein
grosser Zufall. Er war Strassenbahnschaffner geworden. Er besuchte dann eimmal
fuer kurze Zeit Berlin, doch nachher verlor ihn die Familie wiederum ganz aus den
Augen. Erwaehnen moechte ich hier, dass der Dampfer "die Eidam", mit der mein Vater
die Ueberfahrt machte, bei seiner naechsten Fahrt unterging.

Ein anderer Bruder meines Vaters, Robert Jandorf, der urspruenglich Rabbiner werden
wollte wurde Geschaeftsfuehrer am Spittelmarkt und Bruder Karl wurde zu einem Drittel
an allen Geschaeften als Mitinhaber beteiligt. Nach dem Verkauf vom Warenhaus
Spittelmarkt und zur Eroeffnung vom KDW wurden Kobert und Moritz Jandorf Geschaefts-
fuehrer in diesem Warenhaus und beide entwickelten einen unerhoerten Fleiss. Karl
Jandorf fuehrte das Geschaeft in der grossen Frankfurter Strasse. Im Warenhaus am
Kotbuser Damm hatten wir einen Geschaeftsfuehrer, Herrn Levi, und in der Brunenstrasse
war ein Herr Wiese der Geschaeftsfuehrer dieses Unternehmens.

Georg Karg war Verkaeufer in einem unserer Geschaefte; er war ein sehr tuechtiger
Mann und mein Vater uebertrug im die Geschaeftsfuehrung in der Wilmersdorfer Strasse,
Herr Karg, der jetzt 80 Jahre geworden ist, war nicht nur tuechtig, er war ein ge-
schaeftliches Genie und er besitzt heute cirka 70 Geschaefte in Westdeutschland und
cirka 10 Geschaefte in Berlin allein. Herr Karg hat einen Sohn, Hans-Georg Karg,
der genau so tuechtig ist, wie sein Vater,; ich sah den alten Herrn Karg vor cirka
5 Jahren in Berlin, wo er extra unseretwegen mit seiner Frau aus Hamburg kam. Dort
war damals die Geschaeftsleitung. Wir hatten mit Emden Soehne eine Einkaufszen-
trale, die in Hamburg war und spaeter nach Berlin verlegt wurde.

Dr. Max Emden verkaufte ohne Wissen meines Vater alle seine Geschaefte an Karstadt,
Daraufhin sagte mein Vater zu mir, "was Max Emden kann, das kanmn ich auch tun".
Mein Vater traf eines Nachts im Spielklub die Herren Martin und Georg Tietz, und
in wenigen Stunden war der Verkauf aller unserer Jandorf'schen Geschaefte, inklusive KDW,
erledigt worden. Mein Vater kam dann nachts um 3 Uhr in mein Schlafzimmer und
fragte mich, was ich von dem Verkauf hielte. Ich lachte ihn nur aus und sagte ihm:
"Du kannst und wirst Dich nie von Deinem KDW trennen", Er sagte mir noch dann, was
er fuer seine Geschaefte verlangt haette und am naechsten Morgen telephonierte ich
alle Brueder an, die sofort in sein Buero in die Bellalliance Strasse kamen.

Als die Brueder erfahren hatten, was jeder zu bekommen haette und zwar in bar,
waren sie alle damit einverstanden und Dr. Julius Jandorf arbeitete mit dem beruehm-
testen Steueranwalt die steuertechnischen Fragen aus. Dieser Anwalt hiess Dr.
Max Lion, der fuer seine Taetigkeit Mark 150,000.- erhielt. Dr. Max Lion und seine
Frau wanderten waehrend des Krieges nach New York aus und ich war oft bei ihnen
eingeladen. Er war aber damals schon ein kranker Mann und starb nach kurzer Zeit,
genau wie seine Frau.

Mein Vater war mit Oscar Tietz sehr befreundet, ebenso wie mit Georg Wertheim, der das
schoenste Warenhaus in der Leipziger Strasse gebaut hatte. (Architekt Rudolf Messel).
Unser KDW wurde von Prof., Schaud gebaut, der auch das Bismark Denkmal in der Stadt
Hamburg entwarf. Professor Schaud schuf auch das Erbbegraebnis meiner Eltern, das
ich vor wenigen Jahren im Friedhof Weissensee-Berlin renovieren lässen musste, da
es baufaellig ware.

Wir hatten im KDW ein herrliches Eingangstor, aus Schmiedeeisen, das die Firma
Schulz & Holdefleiss schuf. Dieses Eingangstor wurde vom Keller aus am Abend

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elektrisch heraufgeschoben und besteht heute noch. Das ist das Einzigste,
was vom KDW uebrig blieb. Dasselbe Tor, in kleiner Form, schuf er fuer das
Erbbegraebnis meiner Eltern, wo fuer mich natuerlich auch ein Platz vorgese-
hen ware

Ich fuhr mit unseren Einkaeufern oft nach Paris und brachte von dort ausser
anderem das erste Neonzeichen fuer das Dach am KDW mit. Leider verkalkulierten
wir uns in der Groesse dieses Neonzeichens fuer das Dach; trotzdem war es eine
Sensation fuer Berlin. Die Polizei jedoch war sehr dagegen, weil es eine Ver-
kehrsstoerung haette sein koennen. Die Farbe war rot. Ausserdem liess ich
nachts von aussen unser Geschaeft mit Scheinwerfern anstrahlen, was fuer Berlin
auch eine Neuigkeit bedeutete,.

Georg Wertheim, der der Kopf von A. Wertheim war, hatte 3 Brueder, Franz, Wilhelm
und Wolf. Wolf Wertheim entzweite sich mit seinen Bruedern und gruendete drei
eirene Warenhaeuser, die nach kurzer Zeit in Konkurs gingen. Da wir ganz in
der Naehe von Wolf Wertheim wohnten, kamen wir oft mit ihm zusammen und mein
Vater sagte ihm den Konkurs von vornherein voraus. Alle Brueder Wertheim sind
tot, genau so wie die Inhaber von Tietz, die Herren Georg und Martin Tietz. Es
war noch ein dritter Inhaber vorhanden, der Dr. Zwillenberg hiess, der zuerst
nach Holland auswanderte und dann, soviel ich weiss, in Lichtenstein starb, Die
Firma Tietz ging vor dem Jahre 1933 in Konkurs, teilweise durch grosse Umbauten
an unseren uralten Geschaeften und teilweise durch die Aufstockung von zwei Stock-
werken am KDW, wo gesetzlicherweise Sprinkleranlagen eingebaut werden mussten.
Die Herren Tietz bauten in unsere Geschaefte cirka 20,000.000 Millionen Mark ein,
abgesehen davon, was sie meinem Vater zahlen mussten. Kurz vor dem Konkurs waren
die Herren Tietz noch so zahlungsfaehig, dass sie meinem Vater den ganzen Betrag
in bar auszahlen wollten, was mein Vater aus dem Grunde nicht annahm, weil er
noch cirka 8 Millionen Mark mit 8%iger Verzinsung stehen liess. Die Brueder waren
gern bereit, wie ich schon sagte, alles in bar auszuzahlen, aber 4 Wochen nach
dem Tode meines Vaters war die Firma pleite und ich blieb mit der ganzen Summe
haengen, fuer die ich auch noch Reichsfluchtsteuer zahlen musste. Ich wollte da-
raufhin nicht auswandern, bekam aber von eirem hollaendischen Bankier, der jetzt
in New York lebt, ein gutes Angebot fuer Sperrmark und war nach 8 Tagen in Hol-
land, wo ich mein Geld in Dollars ausgezahlt erhielt. Das waren fuer mich na-
tuerlich sehr aufregende Zeiten, da ich glaubte, ich muesste verhungern. Martin
Tietz kam dann noch einmal nach Amsterdam, wo er mich besuchte, um mir den Schmuck
seiner Frau zu verkaufen, was ich aber nicht tat. Martin Tietz wanderte daraufhin nach
Cuba aus und machte dort, wie ich hoerte, zweifelhafte Geschaefte mit Emigranten,
Das alles gehoert nun natuerlich der Vergangenheit an.

In Deutschland gibt es selbstverstaendlich noch andere grosse Warenhauskonzerne
ausser Karstadt und Leonard Tietz, die sich jetzt Kaufhof nennen. Ein einziger
Herr, der jetzt hier in Los Angeles lebt, ein Herr Paul Rath, der in Flensburg
sein Geschaeft hatte, war auch dem Emden Konzern angeschlossen und hat seit Jah-
ren einen glaenzenden Vertrag mit Karstadt, wobei er das Grundstueck behielt,
das heute viele Millionen wert ist. Herr Karg baut jetzt auch in Flensburg und
liess das dortige alte Rathaus abreissen.

Ich selbst war in der Lehre in einem Geschaeft von Emden Soehne, Kaufhaus Ober-
pollinger in Muenchen und nach der Beendigung meirer Lehrzeit kam ich zu Herrn
Karg in die Wilmersdorfer Strasse zur weiteren Lehrzeit. Wir schreiben uns noch
heute gegenseitig regelmaessig. Die Umsaetze im KDW sind trotz der Teilung von
Berlin heute das Fuenffache von dem, was wir frueher in diesem Warenhaus ein-
nahmen. Er sagte mir aber, falls das Geschaeft in Westdeutschland stehen wuerde,
wuerde er das Doppelte machen. Nach der Beendigung meiner Lehrzeit bei Herrn
Karg, mit dem ich damals innig befreundet war, genau wie mit seiner Frau, kam

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ich ins Geschaeft zu meinem Vater in die Bellalliance Strasse, wo wir unser
Hauptbuero hatten. Wir beschaeftigten in diesem Buero fuer die Buchhaltung
allein cirka 300 Personen. ;ein Vater hatte die finanzielle Lage voellig in
der Hand und soviel ich weiss, arbeiteten wir nie mit Bankkrediten. Wenn die
Geschaefte mal schlecht gingen, wurde ein Stop fuer Einkaeufe angeordnet, so-
dass z.b. unser Parfuemerie-Einkaeufer noch nicht einmal Toilettepapier ein-
kaufen durfte. Wir hatten in allen Geschaeften besonders tuechtige Einkaeufer,
die soviel Geld verdienten, dass sie sich selten schmieren liessen. Ganz be-
sonders tuechtige Einkaeufer hatten wir aber im KDW, die zum Teil zwischen RM
50,000.00 und RM 75,000.00 im Jahr verdienten. Unser Strumpfwareneinkaeufer,
ein Herr Simon, der jetzt in England lebt, wurde von mir aus dem Wilmersdorfer
Geschaeft ins KDW genommen, da er der Tuechtipgste in der ganzen Strumpfwaren-
branche war. Ausserdem hatten wir fuer alle Geschaefte noch Vertretungen in
verschiedenen Laendern, wie z.B. in Paris, wo Herr Jules Nathan taetig war; in
Wien arbeitete ein Herr Diamant fuer uns, des weiteren einen Vertreter in Cheme-
nitz fuer Strumpfwaren und einen in Pforzheim fuer Bijouterie. Mit allen waren
wir sehr befreundet. Viele dieser Herren sind natuerlich auch laengst nicht
mehr am Leben. Der einzige der Angestellten, den ich noch vor ain paar Yahren
in Berlin sah, war unser frueherer Parfuemerie-Einkaeufer in der Bellalliance
Strasse, der dann die Geschaeftsleitung des Warenhauses in dieser Strasse ueber-
nahm. Dieser Herr kam damals auf meinen Wunsch in das Hotel Kempinski in Berlin,
als wir zu Besuch dort weilten und weinte wie er mich sah, da er mich nur als ganz
kleines kind kannte.

Ich selbst meldete mich als Kriegsfreiwilliger in 1914, ganz gegen den Wunsch meiner
Mutter, bei den Zweiten Gardedragonern in Berlin, Bluecherstrasse. Obwohl es mei-
nem Vater Gelang, seine Brueder vom Militaer frei zu bekommen, war es ihm un-
moeglich, fuer mich selbst etwas zu tun. Fast alle unsere Einkaeufer waren ein-
gezogen. Trotzdem fand mein Vater die Zeit mir einen Brief taeglich zu schreiben.
Ich kam 1916 nach Russland und durch unseren geschickten Geschaeftsfuehrer in der
Bellalliancestrasse, Herr Buchenholz, - der Hans in allen Gassen war - erfuhr mein
Vater, dass ich vom Osten nach dem Westen in einem Gueterwagen mit Pferden tran-
portiert werden wuerde,. Wir hatten 1916 hohen Schnee, aber mein Vater fand heraus,
wo wir ausserhalb Berlins in dem Gueterwagen halten waerden. Er schaffte Kohlen
und Esswaren fuer den ganzen Zug heran, ohne dass ich aber eine Ahnung hatte, dass
er sich zu der Zeit auf dem winzigen Bahnhof befand. Unser Rittmeister, Graf
Schliefen, hatte natuerlich keine Ahnung, dass unser Transport durch diesen Ort
fuhr als er jedoch Wind davon bekam, das mein Vater auf diesem Bahnhaf war, be-
kam er einen Wutanfall. Als mein Wachtmeister, namens Otto, ihm meinen Vater
vorstellte, drehte er diesem den Ruecken zu, was sowohl meinem Wachtmeister als
auch meinem Vater, vor allen Dingen aber mir, sehr unangenehm war. Bemerken moechte
ich hier, dass unter den schomsten Beileidsbriefen, die wir zum Tode meines Vaters
zu Hunderten erhielten, der Brief meines Wachtmeisters Otto der schoenste war.
Als derselbe heiratete, sandte ich ihm die ganze Kinderausstattung und mein Vater
brachte es fertig, ihm einen Stationsvorsteherposten bei der Eisenbahn zu be-
schaffen, vor allen Dingen durch unsere Beziehungen zu unserem Reisebuero.

Aus meinen Kriegsjahren koennte ich noch viele, meist komische Erlebnisse erzaehlen.
Ich selbst war bei Ausbruch der Revolution Gott sei Dank in Berlin und brauchte
nicht mehr ins Feld einruecken. Ich wurde vom Arbeiter- und Soldatenrat entlassen
und schmiss meine Uniform sofort weg.

Waehrend meines Aufenthalts in Muenchen entdeckte ich durch das Kaufhaus Over-
pollinger, das ich schon vorher erwaehnte, einen ganz hervorragenden neuen Reklame-
maler, der fuer unsere Annonzen im Kaufhaus des Westens Aufsehen-erregende Zeich-
nungen machte. Sein Name war August Hajduk und eine Zeichnung von ihm ist in

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dem Buch vom KDW, das ich Ihnen uebersandte, abgebildet. Nach unserem Verkauf
des Warenhauses kaufte er sich ein kleines Gasthaus bei Garmisch-Partenkirchen
mit dem Namen "Zu den 3 Quasten", wo er selbst sein bester Kunde war. Er kam so-
gar zur Beerdigung meines Vaters von Muenchen nach Berlin und war total betrunken.
Ich zahlte ihm ein Billett nach Muenchen zurueck, welches er am Bahnhof verkaufte.
Ich wurde aber dann klug und weise und als er nach Hinterlassung grosser Schulden
bei einer bekannten Wirtsfrau, die mich auch anrief, wieder in Verlegenheit kam,
schickte ich ihm mit meinem Diener zurueck zum Bahnhof. Wir haben dann nie wieder
etwas von ihm gehoert.

Nach der Zerstoerung unserer drei Warenhaeuser in der Wilmersdorfer Strasse, das
KDW und am Mehringdam fing Herr Karg mit Null und Nichts an, die Geschaefte wieder
aufzubauen und sein heutiger Erfolg ist geradezu unglaublich. Natuerlich besitzt
Jerr Karg sein eigenes Flugzeug und besucht noch heute ab und zu alle seine Ge-
schaefte trotz seines hohen Alters. Sein Sohn, der heute ı5 Jahre alt ist, fuehrt
diese Geschaefte und ich kann mich besinnen als er geboren wurde. Herr Karg hat
Auch eine reizende Tochter, die mit einem Grafen von Norman verheiratet ist; sie
haben drei entzueckende Kinder. Herr und Frau Graf von Norman haben einen wunder-
baren Besitz bei Muenchen und meine Frau und ich haben sie oft besucht. Ich fragte
den alten Herrn Karg, wie es seiner Tochter Brigitte ging und da sagte er mir,
sie waere mit einem Grafen von Norman verheiratet. Daraufhin sapte ich ihm, was
fuer eine Verbindung ich mit einem Grafen haette, woraufhin er sich tot lachte und
meinte: "In meinem Schwiegersohn fliesst ebenso viel juedisches Blut wie in Ihnen",
Herr Karg hatte rechte Vielleicht habe ich mit diesem Brief einen Fehler gemacht,
indem ich zuviel persoenliches ueber mich mitgeteilt habe; aber ich dachte, ich
muesste das tun, um die Dinge abzurunden.

Ich moechte noch hinzufuegen, dass wir im Jahre 1896, nachdem mein Vater im Jahre
1895 meine Mutter geheiratet hatte, eine Wohnung ganz in der Naehe von unserem ersten
Geschaeft am Spittelmarkt hatten, wo mein Vater fast 24 Stunden arbeitete und selbst
alle Fenster dekorierte. Meine Mutter brachte ihm immer abends das Essen ins Ge-
schaeft. Spaeter zogen wir dann, weil ich ins Wilhelmgymnasium gehen wollte, in die
Thiergartenstrasse Nr. 8, damals eines der wenigen Mietshaeuser in dieser Strasse.
Das ganze Thiergartenviertel ist zerstoert, zenau so wie unsere , d.h. meiner Eltern
naechste Wohnung am Luetzowplatz, von dem auch nichts mehr vorhanden ist. Da Herr
Karg ein kleines Gut hatte, wo ich ihn fast jeden Sonntag besuchte, war es mein
Wunsch, auch ein kleines Landhaus zu besitzen. Ich war damals in Muenchen und bekam
eines Tages ein Telegramm von Herrn Karg, mit der Bitte ihn anzurufen. Ich dachte
schon, dass die Wilmersdorfer 5trasse abgebrannt waere. Er sagte mir dann ganz im
geheimen, dass mein Vater mir ein sehr teures Grundstueck, das unbebaut war, am
kleinen Wannsee gekauft haette, worueber ich natuerlich sehr erschrocken war. Seiner-
zeit war ein Eisenbahnstreik in Deutschland. Als es mir nach dem Streik moeglich war
nach Berlin zu fahren, holte mich mein Vater vom Anhalterbahnhof ab und zeigte mir
das Grundstueck. Ich war entsetzt und als wir in unser Geschaeft zurueck kamen,
sagte ich ihm dies auch unverbluemt.

Mein Vater war im Gegensatz zu allen anderen Warenhausbesitzern immer gegen den Be-
sitz eines Hauses, aber ich sagte ihm, ich baue Dir ein Haus auf diesem Grundstueck‚
wie ich es mir denke. Ich ging zur groessten Holzbaufirma in Berlin (Christoph
& Unmach), die mir nicht glauben wollten, was ich vorhatte. Mein Vater ueberliess
es voellig mir, was ich zu tun beabsichtigte und er kam erst in das Landhaus, als
es ganz fertig war. Es war eine Sehenswuerdigkeit. Ich habe heute noch ein Bild
davon und kann mich aber nicht davon trennen. Mein Vater lebte leider nur noch
4 Jahre im Sommer in diesem Landhaus und liebte es ueber alles. Nach dem Tode
meines Vaters wurde es von dem bekannten Schauspieler Heinz Ruehmann gekauft, aber

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jetzt steht nur noch ein gans kleines Haus auf diesem Grundstueck. Das
Ganze ist voellig verwahrlost bis auf den Holzzaun, den ich selber ent-
worfen hatte. Ein trauriges Kapitel.

Ich hoffe, Ihnen mit meinen Zeilen gedient zu haben und mit freundlichen
Gruessen bin ich

stets Ihr,

  Harry Handorf